#NETZWENDE 2021: Journalistische Orientierung in der Informationsflut

Eins haben alle Projekte gemeinsam, die sich für den #NETZWENDE-Award 2021 beworben haben: Sie helfen den Nutzer:innen. Auf unterschiedliche Art allerdings. Wir haben alle diesjährigen Bewerbungen durchgesehen und drei große Schwerpunkte ausgemacht. Es geht unter anderem um den Abbau von Vorurteilen, um den Kampf gegen Falschnachrichten und um die Stärke der Community.

Die Trophäe des seit 2017 verliehenen #NETZWENDE Awards (Foto: VOCER/Ahmad Alrifaee)

Statt Klischees – Internet als Mut machender Safe Space

Zu jedem Thema gibt es ein Klischee – und wird es nur oft genug wiederholt und pauschalisiert, nehmen die meisten das Vorurteil irgendwann als Faktum an. Das darf nicht passieren. Journalismus sollte hier eine Gegenstimme bilden, Vorurteilen abbauen, Falschmeldungen aufdecken und vor allem aufklären. Es gibt einige sinnvolle Projekte unter den #NETZWENDE-Award-Bewerber:innen, die sich diesem Vorhaben angenommen haben. Sie wollen mit Klischees brechen und faktenbasiert informieren – etwa über Einwanderung, über rassistische Zuschreibungen, über Zugehörigkeit und Diskriminierung. Denn das sind die großen Themen, die eine Gesellschaft beschäftigen müssen. Aber Journalismus sollte auch auf enggesteckten Gebieten tätig sein, sich mit Themen auseinandersetzen, die zwar eine vermeintliche Minderheit betreffen, doch durch die Vernetzung im Digitalen plötzlich zeigen, wie viele eigentlich betroffen sind. Es ist daher nötig, dass Journalist:innen etwa über Endometriose und Schwangerschaftsdiabetes berichten – ohne dass Betroffene Scham oder Stigmatisierung erleben müssen. Das Internet kann bei diesen Projekten auch zu einem „Safe Space“ werden. So lässt sich Aufklärung durch gut recherchierte Beiträge realisieren. Diese können redaktionell moderiert zu einer konstruktive Debattenkultur und damit zu einer Netzwende beitragen. Aus Protagonist:innen mit schweren Schicksalen können so Helden werden, die Betroffenen Zuversicht schenken. Das Internet wird so zu einem Mut machenden Ort. Doch auch hier kann man mal den Überblick verlieren, dann das Internet ist voller Informationen – gewollt oder ungewollt bekommen wir ständig Impulse, auf neue Dinge zu reagieren.

Hilfe Informationsflut: Fake-News enttarnen, Debatten anstoßen, Digitale Resilienz schulen

Doch nicht alle diese Nachrichten und Informationen, die uns zum Klicken einladen, sind richtig und/oder für uns als Nutzer:innen passend und sinnvoll. Zum einen ist es nicht einfach, Falschmeldungen direkt zu enttarnen, zum anderen braucht es Zeit, die ganzen Informationen für sich zu filtern. Das sind zwei komplexe Schritte, die im Netz aufgrund der Informationsflut jedoch wichtig geworden sind. Es gibt Projekte, die Nutzer:innen helfen, verschiedene Perspektive und Standpunkte miteinander zu vergleichen, Debatten zu verstehen und damit einen wichtigen Beitrag zu einer konstruktiven Diskussionskultur leisten. Einige haben sich für den #NETZWENDE-Award 2021 beworben. Sie vermitteln die heutzutage immer wichtigere, aber auch vielschichtiger werdende Medienkompetenz. Journalist:innen müssen neben der Informationsübermittlung auch zuhören und einen Austausch schaffen. Das kann beispielsweise gelingen, indem sie den Lärm, der in der Gesellschaft insbesondere bei polarisierenden Themen herrscht, aufgreifen, thematisieren und klischeefrei bewerten. Darüber hinaus müssen auch Nutzer:innen bewusster mit und in den sozialen Netzwerken interagieren. Informationsüberbordende Plattformen wie Instagram, Facebook oder TikTok laden täglich dazu ein, sich mit anderen zu vergleichen, sich ablenken zu lassen, den eigenen Fokus zu verlieren. Medien können hier Digitale Resilienz schaffen, um einen bewussten und kritischen Umgang mit Social Media zu schulen. Eine gesunde Handhabung und Medienkompetenz – hier besteht Nachholbedarf. Vor allem junge Menschen müssen erstens mehr über den eigenen Umgang mit Medien und zweitens über den Umgang mit sich und anderen Menschen lernen. Das geht allerdings nicht nur jungen Leute so, sondern auch Medien selbst. Sie müssen den Umgang mit den Nutzer:innen im Netz ebenfalls lernen und sich fragen: Wen wollen wir eigentlich erreichen?

Nutzer:innen-orientierter Journalismus: zuhören, verstehen, auswerten

Darum sollten Journalist:innen Menschen immer gut zuhören. Aber tun sie das noch? Was interessiert die Menschen denn? Welche Rolle spielen etwa Alter und Herkunft einer Zielgruppe? Es sind Fragen, die Journalist:innen beschäftigen müssen. So gibt es Medienhäuser, die nicht mehr in alten Strukturen denken: Die Zeitung macht plötzlich Fernsehen und Audio; das Radio schafft neue Online-Strategien. So erweitern Verlage ihr Portfolio, dies zeigen auch die #NETZWENDE-Award-Bewerbungen. Ihr Ziel mit der neuen Arbeitsweise: mehr Nutzer:innen erreichen und neue Zielgruppen erschließen. Doch eines ist dabei besonders wichtig und für den Erfolg nötig: zu wissen, was das Publikum möchte. Community-Journalismus bindet seine Nutzer:innen ein, fragt nach Themen, die bewegen, recherchiert daraufhin und präsentiert Stücke, die aus der Gemeinschaft kommen und für diese bestimmt sind. Manche Projekte setzen dabei auf Technologie und Daten. So gibt es Software, die Journalist:innen und Medienunternehmen hilft, ihrer Community besser zuzuhören, und journalistische Ansätze, die personalisierte Daten aus Befragungen etwa zu Mobilität oder Umweltaspekten analysieren und daraus eine interaktive Karte gestalten. Jeder kann darin sehen, was um ihn herum passiert oder nicht passiert. Das macht Content greifbar. Die Einbindung des Publikums ist also nicht nur bei der Themensetzung möglich; Journalismus kann seine Nutzer:innen auch bei der Auswertung von Daten integrieren – aus der Community, für die Community.

Die zahlreichen Projekte, die sich für den #NETZWENDE-Award 2021 beworben haben, zeigen deutlich: Durch die Digitalisierung ist in den Medien nahezu alles möglich. Umso wichtiger ist es für Journalist:innen, zu prüfen, was sie wo, wie und für wen publizieren.


#NETWENDE ist eine Initiative des Journalismus-Think&Do-Tanks VOCER. Die gemeinnützige Organisation für Medieninnovation versteht sich als Denkfabrik, Akademie, Plattform und Talentschmiede. Seit 2009 organisieren wir Bildungs- und Förderprogramme zur digitalen Transformation und stoßen Initiativen zu Non-Profit-Journalismus, gesellschaftlicher Innovationen, Nachrichtenkompetenz und Digitaler Resilienz an.

Der #Netzwende-Award besteht bereits seit 2017. In diesem Jahr vergibt ihn VOCER gemeinsam mit der Rudolf Augstein Stiftung, der ZEIT-Stiftung, der GLS Treuhand Stiftung, der Otto-Brenner-Stiftung und dem Fachmagazin “journalist” als Medienpartner. Wir würdigen damit Projekte und Initiativen, die das gegenwärtige Krisengeschehen auch als Chance begreifen und Neues wagen. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert..

Mehr zum Preis und den Preisträger:innen findet sich hier.


 

Meena Stavesand

Meena Stavesand ist Redaktionsleiterin von VOCER.